Haus Langen liegt südlich von Westbevern an der Bever, die nach vielen bizarren Windungen in gleicher Entfernung weiter südlich in die Ems mündet. Haus Langen ist eine Ringwallanlage, die auf das 11.-12. Jahrhundert zurückgeht und deren Ringgräften von der Stauanlage der Bevermühle gespeist wurden, denn der Wasserspiegel der Bever liegt tiefer als die Burggräfte. Haus Langen hat eine wechselvolle Geschichte mit kriegerischer Zerstörung im 13. Jahrhundert, mit Wiederaufbau in späterer Zeit und mit erneutem Abriss im 19. Jahrhundert.
Heute existiert lediglich ein zweigeschossiger Klinkerbau mit einem münsterschen Dreistaffelgiebel und einigen Nebengebäuden auf der Vorburg. Während also Haus Langen an sichtbarer Bedeutung verloren hat und sich fast dezent in einer Eichengruppe versteckt, liegt die Wassermühle exponiert in einer landschaftlichen Idylle. Diese wird bestimmt von einer offenen Flußlandschaft, begrenzt nach Osten durch ein sandiges Steilufer und nach Westen von einer naturbelassenen Wiese mit lockeren Baumgruppen. Die Beverwassermühle stammt aus dem 18. Jahrhundert. Sie besteht aus zwei Ziegelfachwerkbauten mit jeweils einem Krüppelwalmdach. Die Gebäude stehen auf Stützmauern an beiden Ufern der Bever, die aus Sandsteinblöcken bestehen. Das östliche Gebäude neben Haus Langen war eine Kornmühle, das westliche Haus eine Ölmühle. Leider existieren die Wasserräder nicht mehr, die im frühen 20. Jahrhundert durch eine Turbine ersetzt wurden, aber eine Vorstellung von dem früheren Zustand gewinnt man durch eine Graphik von Bernhard Pankok aus dem Jahre 1902.
In dem an die Ölmühle angrenzenden Kotten war zu Pankoks Lebzeiten ( 1872 - 1943 ) eine Kaffeewirtschaft eingerichtet.
Die Mühle war also ein beliebtes Ausflugsziel und wurde durch ihre idyllische Lage zum Motiv für viele Maler des Münsterlandes. Auch Helmut Gockel hat die Wassermühle bei Haus Langen oft und in verschiedenen Techniken gemalt. Ich selber besitze ein signiertes, aber undatiertes Ölbild (40x50 ) Gockels von der Mühle, ebenso eine farbige Kreidezeichnung (40x60); signiert aber undadiert und eine unsignierte Kohlezeichnung (30x40), deren Entstehung ich am 30. 06. 2001 am beschriebenen Ort erleben und durch Fotos dokumentieren konnte.
Es ist ein heißer Frühsommertag. Wir fahren in die Nähe der Mühle und parken im Schatten der Bäume. Zielstrebig überquert Helmut Gockel das Stauwehr der Mühle und bahnt sich einen Weg durchs hohe Gras der naturbelassen Wiese. Ohne langes Suchen findet er den Ort mit dem fiir ihn besten Blickwinkel auf die Mühle und stellt seinen Klapphocker auf. Ich bringe die leichte Feldstaffelei und lege den Skizzenblock auf. Wie oft mag Helmut Gockel hier allein, mit Carl Busch oder mit Schülern des Bildungswerkes gesessen haben? Vor dem ersten Strich hebt er die rechte Hand, beschattet die Augen, peilt über die erhobene Zeichenkohle verschiedene Fixpunkte der Mühle an, deckt Partien des Objekts mit der Handfläche ab und beginnt behutsam, fast zögerlich seine Skizze im Querformat. Mit zartem Strich markiert er die Konturen der Gebäude, der Brücke, der Ufersäume. Dann arbeitet er mit stärkerem Druck die tiefen Schatten der Eichenwipfel heraus, die die Morgensonne erzeugt. Die Zeichenkohle wird quer geführt und die schwachen Schatten auf den Dächern und Gebäudemauem entstehen und zeigen die leichte Struktur, die das Zeichenpapier vorgibt. Und immer wieder ein prüfender Blick zwischen Objekt und Skizze, zwischen Bild und Abbild, ein Abdecken von Partien mit der Hand, ein leichtes Wischen mit dem Handballen über die Skizze. Nun erfolgt die Ausarbeitung von Details: zarte Striche für das Fachwerk, feste Striche für die Fenster. Schließlich werden mit festen, sicheren Strichen die Bereiche mit den Schlagschatten ausgeführt: die vorkragenden Dachflächen, die Beverbrücke am Stauwehr, der Laubtunnel, aus dem die Bever kommt. Hell bleibt der hohe Sommerhimmel und der lichtüberflutete Fluß unterhalb des Stauwehrs, wo fröhlich Kinder im klaren Wasser baden. ,,Fertig!" sagt Helmut Gockel mit einem langen Blick auf sein Werk, "Wir müssen aus der Sonne!"
Ein letztes Foto von Meister, Mühle und Werk, dann Fixativ auf die Skizze. Schwerfällig verläßt der 85jährige einen Standort für ein liebes Motiv im Münsterland. Wir gehen zurück in den Schatten der Eichen und trinken auf unseren Hockern sitzend kaltes Wasser, während wir den Kindern zuschauen, die fröhlich in der Bever baden. Das Sommerlicht, der Fluß, die Geräusche der Vögel und Insekten, der Duft der Wiese, die hellroten Gebäude im schattigen Grün der Eichen wahrhaftig eine Idylle aus einer femen Zeit! Helmut Gockel schaut lange auf die Beverbrücke. Sieht er dort einen schmächtigen Jungen mit bepacktem Fahrrad, der als Bote zwischen Münster und Westbevern im väterlichen Geschäft tätig ist? Sieht er dort sich selbst?
Arnold Stelzig 05.11.2003
Ein Kunsthistoriker hat Gockels Malstil lyrisch – expressionistisch bezeichnet. Für mich ergibt diese Einordnung unter folgenden Gesichtspunkten Sinn:
Lyrisch ist die Wahl der Motive: Landschaften und Gebäudegruppen, Porträts und Menschengruppierungen, Blumenbilder und Stilleben. Lyrisch ist die Harmonie der Farben, sind das Licht und die Wärme, die die Bilder ausstrahlen.
Expressiv ist die Pinselführung, ist die Handschrift des Malers, sind die starken Konturen und der große Hell – Dunkel – Kontrast. Expressiv ist auch die eingefangene Stimmung, denn gerade den Norwegenbildern liegen starke Natureindrücke zu Grunde.
Insgesamt strömen Gockels Ölbilder eine stille Poesie aus, liegt in jedem Bild ein Rest Geheimnis. „Der Betrachter muss meine Bilder selbst zu ende sehen!“, so drückte sich der Künstler aus.
Nachdem ich Helmut Gockel 1990 persönlich kennen lernte, erfolgten Atelierbesuche bei ihm und ich erwarb einige Bilder. Wir besuchten gemeinsam Ausstellungen und unterhielten uns auf Spaziergängen über die Kunst und die Welt. Nachdem ich ihm beim Malen zusehen durfte, ermunterte er mich zu eigenen Arbeiten, die er gern verbesserte. Als Lehrer machte er nicht viele Worte. Man musste genau auf seine Finger schauen und mitdenken, wodurch die wunderbare Wirkung der Farben und des Lichts bei dem Meister entstanden. Hier trifft das Zitat zu: „Wenn ihr`s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht begreifen.“
Diese Entwicklung vom Sammler zum Schüler teile ich mit vielen Nienbergern, denn Helmut Gockel gab seine maltechnischen Fähigkeiten gern weiter.
Als Künstler wird er durch seine Werke in unterschiedlichen Techniken für die Nachwelt präsent bleiben, wie Helmut Gockel als Mensch war, muss erzählt und aufgeschrieben werden. Nach Voranmeldung hatte er immer Zeit zum Zuhören und zum Selbsterzählen. Er war gesellig und humorvoll, erzählte gern lustige, manchmal komische Episoden aus seinem langen, oft nicht leichten, freien Künstlerleben. Er klagte nie, sondern hatte immer eine positive Lebenseinstellung.
Es wäre sehr schön, wenn möglichst viele Freunde Helmut Gockels ihre Begegnungen und Erlebnisse mit ihm aufschreiben und für ein Erinnerungsbuch zur Verfügung stellen würden.
Arnold Stelzig
Nienberge, den 20.09.2004
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