Hubert Teschlades Anliegen in seinen Kunstwerken entdecken

Hubert Teschlade
Hubert Teschlade

 In Münster geboren (1921) und aufgewachsen, erlernte er im väterlichen Betrieb den Umgang mit Metall und die vielfältigen Eigenschaften dieses Werkstoffes. Neben der handwerklichen Ausbildung seiner Hände erfuhr Hubert Teschlade als junger Mensch die Erschließung einer geistigen Welt in der Gemeinschaft der „Sturmschar“, einer jugendbewegten Gruppe im Katholischen Jungmännerverband, die als Wegbereiter für eine neue Zukunft in Kirche und Gesellschaft eintrat, deren Bundesführer Franz Steber (1904-1983) war.

 

Hier lernten junge, berufstätige und studierende Männer wichtige Themen und Gedanken aus Religion, Literatur, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik kennen und diskutieren, mit dem Ziel, zu einer eigenständigen, christlich verantwortbaren Meinung zu gelangen.

 

Nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges, dem Versagen der geistigen Eliten Deutschlands, hatte sich diese Richtung der Jugendbewegung das kritische Hinterfragen der traditionellen, bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Werte zum Ziel gesetzt. Eigene Forderungen u.a. waren: Bildung muss für alle zugänglich sein, Jugend führt Jugend, auf eigenen Wegen, zu selbstgesetzten Zielen, eigene Erfahrung zählt mehr, als fremde Belehrung, das Wochenende dient dem gemeinschaftlichen Erleben: Wandern, Singen, Zelten, Lagerfeuer, Gespräche, am Sonntag der „Feldgottesdienst“ in freier Natur mit liturgischen Formen, wie sie nach dem 2. Vatikanischen Konzil eingeführt wurden.

Einer aufrichtig christlichen inneren Haltung entsprach eine strenge äußere Zucht: Tadelloses Verhalten, Verzicht auf Alkohol und „Liebeleien“. Die graue Kluft als „Ehrenkleid“, nicht als Uniform. Die „Blut- und Rasseideologie“ der Nazis wurde früh entlarvt und abgelehnt, alle Versuche, den Verband mit der „HJ“ gleichzuschalten, wurden abgelehnt. Am 6.2.1939 wurde der Katholische Jungmännerverband Deutschland und auch die „Sturmschar“ verboten, da waren einige ihrer Führer bereits wegen „Hochverrats“ vom Volksgerichtshof verurteilt worden, auch Franz Steber.

Durch den Geist und die Gemeinschaft der Sturmschar erhielt Teschlade seine Prägung, erwuchsen auch Maßstäbe für sein späteres, künstlerisches Gestalten: Wahrhaftigkeit, Ursprünglichkeit, Spiritualität, Authentizität, Gemeinschafts- und Gesellschaftsbezug.

Den Zweiten Weltkrieg überstand Hubert Teschlade unbeschadet, „ wie durch ein Wunder“, wie er noch heute dankbar im Gespräch feststellt. Sie waren auch nicht „verloren“, denn seine realistischen Briefe von der Ostfront gelangten in die Hände von Kardinal von Galen, der ihm persönlich einen Gruß schickte und in der Englischen Gefangenschaft konnte er an einer Art „Kunstakademie“ teilnehmen, die ihm seinen Berufsweg erkennen ließ, der ihn über die Werkkunstschulen in Münster und in Köln zum selbständigen Maler, Bildhauer und Architekten führte.

„Kunst ist für mich ein unverzichtbarer Teil meines Lebens. Sie ist ohne enge Verbindung zu meinem Leben kaum denkbar. Aus dieser Sicht erhalten viele meiner Arbeiten ihren Sinn,“ sagt Hubert Teschlade. Vor diesem Hintergrund möchte ich es unternehmen, beispielhaft an vier Werken, die im öffentlichen Raum frei zugänglich sind, das Anliegen des Künstlers im Kontext zu seinem Leben zu erläutern.

Wer durchs schöne Münsterland reist, findet am Rande von Wegen und Straßen vielfältige Zeugnisse für den christlichen Glauben. Es sind dies Bildstöcke, Wegkreuze und kleine Kapellen, die Zeugnis für gewährte Hilfe in der Not sind, aber auch dem Reisenden Trost und Zuversicht spenden für die Gefahren auf der Reise. Als Mitte der sechziger Jahre die Autobahn „Hansalinie“ an Münster vorbei gebaut wurde, entstand in der Katholischen Pfarrgemeinde St. Pantaleon in Roxel die Idee, eine Autobahnkapelle zur stillen Einkehr für Reisende zu schaffen. Planung und Durchführung wurden Hubert Teschlade übertragen, der ein beeindruckendes „Gesamtkunstwerk“ schuf, d.h. Außen- und Innengestaltung sind aus einer Hand. Die Kapelle liegt an der BAB zwischen MS-Süd und MS-Nord in Fahrtrichtung Bremen an der Raststätte „Münsterland“, ist aber auch über die Landstraße mit dem Fahrrad zu erreichen. Man benutzt dann den Dingbänger Weg Richtung Roxel, biegt ein in die Straße „Am Rohrbusch“, fährt weiter bis zur Kreuzung “Im Derdel“, nach Süden hin liegt die Kapelle rechts in einem Waldstück, sie ist 24 Stunden täglich geöffnet!

„Meine Werke suchen Gelassenheit und Ruhe!“ Dieser Satz von Teschlade klingt an dieser Stelle zunächst paradox, wenn man die Fahrzeuge vorbeirasen sieht und vorbeidröhnen hört, doch er wird verständlich, sobald man eintritt. Aber zunächst zum Äußeren.

 

Wie ein riesiges Zelt liegt die Kapelle vor einem grünen Eichenwald, der vordere Giebel ist gegliedert in zwei quadratische Fenster- und eine ebensolche Türfläche, über diesen Flächen betonen waagerechte Hölzer die weißen Blenden am First. Assoziationen werden geweckt: Reisen und Zelten schließen sich nicht aus, das Zelt Gottes unter den wandernden Israeliten, Zelte in der Wüste geben Schutz zum Überleben, Zelte sind häufig Orte für fröhliche Feste und Orte der Begegnung. Öffnet man die der Autobahn abgewandte Tür, überraschen den Besucher eine Fülle starker Eindrücke! Die hintere Giebelwand besteht aus einer von Sprossen gehaltenen Glaswand, die den freien Blick in die Natur, in den Eichenwald ermöglicht und zwischen den Bäumen ragt ein über vier Meter hohes Kreuz, exakt über dem Altar im Innenraum, so dass Innen und Außen verbunden werden.

Der Korpus ist aus getriebenen Kupferblech hergestellt und zu dieser Technik und zu seinen Kruzifixen allgemein gibt es vom Künstler Äußerungen: „Mit unserer Sturmschargruppe besuchten wir an den Wochenenden mehrmals Kloster Marienthal bei Wesel. Pfarrer Winkelmann, der diese Oase (Insel in der Kunstwüste der NS-Zeit) der modernen christlichen Kunst schuf, indem er verfemte Künstler bei sich aufnahm und sie in der Kirche und auf dem Friedhof Kunstwerke schaffen ließ. Er führte uns Jungen mit großem Feingefühl in diese neue liturgische Kunst ein. Hier betrachtete ich auch immer wieder den getriebenen Christus an der äußeren Chorwand der Klosterkirche von van Ackeren. Dieser hatte es mir besonders angetan. Sicher ist hier, wenn auch unbewusst, das Interesse an der Metallarbeit gewachsen. In erster Linie war das Metall mein Material, das ich benutzte. Zunächst begann ich damit, aus Kupfer- und Messingblech Reliefs zu treiben. Ganz anders als bei den Materialien Stein und Holz, bei denen man das Material von außen wegnimmt, um zur Form zu gelangen, muss man beim Metalltreiben von innen nach außen formen. 

Diese ganz andere Arbeitsweise reizte mich besonders. Natürlich konnte ich nicht bei der reinen Treibarbeit bleiben. Diese ist sehr zeitaufwendig und auch bei größeren Arbeiten körperlich sehr anstrengend. So habe ich mich später entschlossen, auch Arbeiten in Ton oder Gips zu formen und in Bronze gießen zu lassen.“

Der am Kreuz erhöhte Christus strahlt eine große Ruhe und Würde aus, der Wald im Hintergrund bildet Kulisse und Meditationsraum zugleich. Es dringt kein Lärm in den Andachtsraum, so dass man vor dem schlichten Altar in der Sitzbank verweilen möchte, um besonders den Kopf Christi näher zu betrachten. Dazu, und zu allen seinen Gesichtsdarstellungen, bemerkt der Künstler: “Das menschliche Antlitz, das Gesicht, hat nach meiner Heimkehr aus dem Krieg bei meiner kreativen Arbeit einen besonderen Stellenwert. In wie viel verstörte und zerstörte Gesichter musste ich blicken! All das schlimme Erlebte in den Kriegsjahren in Russland und in Frankreich musste verarbeitet werden. In den getriebenen Kruzifixen suchte ich nach dem Antlitz, dem man die Überwindung des Leides ansah!“ 

Dass viele Menschen in dieser Kapelle und vor diesem Kreuz Ruhe finden, belegt eindrucksvoll das Fürbitt- und Danksagungsbuch auf dem Altar. Fernfahrer aus Süd- und Osteuropa bitten um das Wohl Ihrer Familien und um eine gute Fahrt. Urlaubreisende bitten um erholsame Tage für die gemeinsamen Familienferien oder danken für schöne Urlaubstage. Wer die Kapelle verlässt, wird auf die Welt draußen durch das herrliche Spiel des Lichtes in den bunten Glassplittern der Türseitenfenster eingestimmt.

Die Großplastik (ca. 3 m) „Begegnung“ befindet sich vor dem Gemeindezentrum der Evangelischen Lydia-Gemeinde, Ecke Sebastianstraße – Plettendorfstraße in Nienberge. Sie besteht aus getriebenem Kupfer mit aufgeschmolzener Bronze und ist ein Sinnbild für die angestrebte Ökumenische Begegnung mit der Katholischen St. Sebastian-Gemeinde und für Ökumene allgemein. Auf einem Sockel, der ein Hexagramm bildet, dem Druidenfuß, stehen sich zwei Figuren gegenüber: Ein Mann und eine Frau. Zwischen ihnen befindet sich ein riesiger Rahmen, an dem gezackte Splitter hängen wie an einem großen Spiegel, der zerbrochen ist. Nach 500 Jahren Trennung gehen die zerstrittenen Geschwister im christlichen Glauben, scheu und unbeholfen aufeinander zu, zwischen sich den zerbrochenen Spiegel der jahrhundertealten selbstgefälligen Bespiegelung in der jeweiligen Kirche mit dem Hochmut, vor Gott im Recht zu sein! Eine angedeutete Handbewegung, ein zaghafter Schritt, der Künstler hat den Prozess der unbeholfenen, gegenseitigen Annäherung überzeugend dargestellt. 

Durch die symbolische Wahl von Mann und Frau will der Künstler aber auch sagen, wie nach dem Buch Genesis der von Gott erschaffene Mensch Mann und Frau zugleich ist, dass Christsein ungeteilt in einem Bekenntnis existieren muss. Über die Bedeutung für die Ökumene hinaus hat das Werk eine zeitlose Bedeutung für das Gespräch zwischen Partnern. Werden nahstehende Menschen nicht im „Teufelskreis“ des Alltags starr voreinander, bauen Schranken und Barrieren auf, erstarren eben? Auch hier ist ein ständiger Dialog nötig, müssen egoistische Rituale überwunden werden, muss eine neue persönliche Begegnung stattfinden. Die Skulptur aus den Jahren 1981/82 ist das gemeinsame Eigentum beider Kirchengemeinden im Zeichen der Ökumene.

Ein weiteres Anliegen Teschlades ist die Betonung des Gemeinschaftsbezugs des Menschen. Als erstes Kind mit fünf Geschwistern aufgewachsen, erfuhr er in einer Großfamilie mit Vater, Mutter, Oma und Uroma menschliche Nähe und emotionale Geborgenheit. Da Oma und Uroma protestantisch waren, erlebte er den christlichen Glauben ökumenisch hautnah im Familienkreise. In der Sturmschar erlebte er die Gruppe als Vertrauens -und Lebensgemeinschaft, da viele Sturmschärler in dieselbe Pioniereinheit eingerückt waren, wurde daraus eine Schicksalsgemeinschaft, wo einer für den anderen eintrat. Dies bezieht sich auch auf die späteren „Künstlerkameraden“. Er setzte sich sehr für die Kollegen im Berufsverband Bildender Künstler Westfalens ein und ebenso für die in der Bildhauergruppe Münster und organisierte die „exponata“ in den Jahren 1982- 1986 - 1991. Stets ging es dem Initiator dieser Ausstellungen darum, Künstler aus der Region mit ihrer Kunst einer möglichst großen Öffentlichkeit zu präsentieren. So betonte auch Dr. Jörg Twenhöven, damaliger Oberbürgermeister der Stadt Münster, in seinem Grußwort zur „exponata 86“: „Meinen Gruß an alle ausstellenden Künstler, Gäste und Besucher möchte ich verbinden mit herzlichem Dank an den Initiator der „exponata“, Hubert Teschlade. Seinem Idealismus, seinem persönlichen Einsatz ist diese Ausstellung zu verdanken, die über die Region hinaus zu einem Begriff gewordenen ist.“

Als Architekt plante und baute er zahlreiche Gebäude, in denen Gemeinschaftsleben und zwischenmenschliche Begegnungen stattfinden konnten. Dies waren familienfreundliche Ferienhäuser der Deutschen Kolpingfamilie und vor allem der „Klausenhof“, als Bildungs- und Begegnungsstätte der Landjugend in Haminkeln bei Wesel, mit der sehr eindrucksvollen „Bruder Klaus – Kapelle“.  Aber auch Einfamilienhäuser entwarf und baute er, wie die harmonische Gebäudegruppe am ehemaligen „Kalthof“ in Nienberge. In seiner Architektur schuf er großzügige, helle, freundliche Räume, mit viel Holz und Naturstein. Er zitiert dazu gern den fernöstlichen Denker Laotse: „Wände, Türen und Fenster bilden ein Haus, aber die Leere zwischen ihnen ist das Wesen des Hauses!“ Frohe Menschen sollten seine Häuser bewohnen, sie sollten sich freuen über genug Licht, Luft und einen freien Blick in die Natur.

Das Haus „Am Kalthof 17“ hat Hubert Teschlade für Franz Steber entworfen und gebaut. Sie waren sich freundschaftlich, weil gedanklich, eng verbunden und Teschlade schuf 1979 im Auftrag des Domkapitulars Walter Böcker eine Bronzeplastik von Stebers Kopf. Sie befindet sich heute im Jugendhaus Düsseldorf. Zu dieser und zu ähnlichen Arbeiten bemerkt der Künstler: “Ich habe in guten und in schweren Tagen meines Lebens immer wieder wunderbare Menschen kennen gelernt, Menschen, die ohne sich dessen bewusst zusein, wirkliche Vorbilder wurden. Und aus dieser Betrachtung heraus, habe ich ihre Gesichter gezeichnet und ihre Köpfe plastisch gestaltet“.

Die letzte Großplastik, die Hubert Teschlade 1996 schuf, ist ein Bronzeguß, 120 cm hoch, 155 cm breit, 90 cm tief. Sie steht in Nienberge vor der Sebastian-Apotheke in der gleichnamigen Straße, trägt den Titel „Familie“ und wurde von dem Ehepaar Steinbicker finanziert. Im Pfarrhaus, ganz in der Nähe, wirkte über Jahrzehnte Pfarrer Carl Neuendorff (1906- 1986) in „familienfreundlicher“ Weise, d.h. er ermöglichte es jungen Familien, auf Kirchengrund in Erbpacht, preiswert zu bauen. So veränderte er den Stadtteil, so verjüngte er die Gemeinde und ermöglichte auf seine Weise ein „lebendiges Gemeindeleben“. 

Nun zu der Figurengruppe! Aus der Ferne betrachtet, haben die Figuren runde, fließende Formen, ihre Oberfläche ist überwiegend glatt, überzogen von einer mattgrünen Patina. Dem Titel nach sitzen Eltern mit ihrem Kleinkind auf einer Bank. Der Vater hat deutlich männliche Attribute, eine breite Brust, starke Arme. Einen Arm hat er um seine Frau gelegt, den anderen streckt er zum Kind, dessen Fuß seine Hand streichelt. Die Mutter zeigt deutlich weibliche Formen. Das Kind sitzt auf ihrem rechten Schenkel, dem Vater zugewandt. Die Mutter hält oder streichelt ebenfalls die Beine ihres Kindes und neigt sich liebevoll herab. Die Komposition der Figurengruppe ist ausgewogen, es geht Harmonie von ihr aus. Wenn man jedoch näher tritt, zeigt sich ein Kontrast. Die Gesichter der drei sind mimisch genau herausmodelliert. Will der Künstler so die Individualität des Einzelmenschen betonen oder bildet er bekannte Personen ab? In einem Zitat sagt er: „Wirkliche Kunst dient der Schönheit und der Harmonie und der Überhöhung des Menschen und seines Lebensbildes..., immer war ich auf der Suche nach der Schönheit und Würde menschlichen Daseins!“

Ich danke Hubert Teschlade für viele intensive Gespräche, danke, dass ich bisher unveröffentlichte Texte zitieren durfte !

Ich danke Franzis Teschlade für das reichhaltige Material und für die Ergänzung meines Textes! Herrn Josef Schulze-Wermeling sei Dank für die Koordination!

Arnold Stelzig, Münster-Nienberge im September 2013