Stille Natur und naturverbundene Menschen – der Künstler Helmut Gockel liebte Westfalen und Norwegen besonders ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Helmut Gockel um 1970  in Norwegen

Am 28. Mai 2003 starb der bekannte Künstler Helmut Gockel. Zum Jahresgedenken fand am 25. Mai 2004, auf Anregung des Heimatvereins Nienberge, ein Dia-Vortrag im Haus Berger statt mit dem Thema „Helmut Gockel und Norwegen“.

Im folgenden Text wird der Vortrag gekürzt wiedergegeben, der sich in folgende Abschnitte gliederte: Land und Leute- Der Überfall auf das neutrale Norwegen- Die Geschichte eines deutschen Soldaten in Norwegen

 

Der Landesname „Norwegen“ findet in dem englischen Wort „Norway“ seine beste Erklärung: Weg nach Norden. Die europäische Schifffahrt folgt diesem Weg aus der Nordsee bis zum fischreichen Eismeer. Der Weg verläuft immer zwischen einer wildzerklüfteten Felsenküste und einem Saum aus unzähligen Inseln und Klippen, in deren Windschatten auch kleine Boote vor den wilden Wogen des Nordmeers geschützt sind. 1752 km spannt sich das Land von Kap Lindesnes im Süden bis zum Nordkap am Eismeer. Es besteht zu über 90% aus Gestein, wobei das uralte Tiefengestein des Skandinavischen Schildes überwiegt. Die Eiszeit hat das Land geformt und in Verbindung mit den Gezeiten die riesigen Trogtäler ausgehobelt, die als zahlreiche Fjorde die Küste typisch machen.

Der Sognefjord beispielsweise ist 204 km lang und bis zu 1308 m tief. Ursprünglich ragte in jeden Fjord am Ende eine Gletscherzunge hinein. Die größten Gletscher Europas lagern auch heute noch auf einem Hochplateau in Jotunheimen. Hier ragt mit 2472 m der höchste Berg des Landes empor, der Glittertinden. Durch die zahlreichen Niederschläge vom Meer bleibt dieses Gletschergebiet relativ stabil.

Nur 3,5% des Landes sind für die Landwirtschaft geeignet. Das sind die breiten Täler und die Umgebung von Oslo. Agrarische Lebensmittel waren immer sehr begrenzt und damit teuer. Dies erklärt die mehrfachen Auswanderungswellen, mit der die Übervölkerung vermieden wurde oder die Hungersnöte, die die Bevölkerung im Mittelalter in Verbindung mit der Pest bis auf ca 200 000 reduzierte. Heute leben 4,5 Millionen Einwohner im Land, genauso viele Menschen sind in Amerika norwegischer Abstammung.

 

Die Norweger sind seit Urzeiten zum Meer hin orientiert. Noch heute leben 80% aller Norweger in Meeresnähe an den Küsten, da das Meer früher einziger Verkehrweg war. Es war zudem Nahrungslieferant, denn das Nordmeer war extrem fischreich. Unterhalb der Lofoten trifft sauerstoffreiches und nährstoffreiches Tiefenwasser auf das warme Wasser des Golfstromes. Hier findet durch die Lichtfülle des auf 24 Stunden verlängerten Polartages ein explosionsartiges Wachstum des pflanzlichen Planktons statt, das am Anfang der Nahrungsketten im Meer steht. Der Golfstrom als riesige Warmwasserheizung für die Küste hält auch alle Häfen des Nordmeeres eisfrei, auch den damals geo-strategischen Erzhafen von Narvik, wo mit der Erzbahn hochwertiges Eisenerz vom schwedischen Kiruna herangebracht wurde, das dort im Tagebau abgebaut wird.

 

Durch den Überfall am 9.04. 1940 auf Norwegen sollte Narvik eingenommen und die kriegswichtige Stahlerzeugung bei Krupp gesichert werden, sollte Schwefelkies zu Herstellung von Sprengstoffen abgebaut werden und der Fischreichtum sollte die Ernährung im Reich sicherstellen. In Südnorwegen sollte ein „Aufmarschgebiet” im Rücken Englands entstehen. Auf der Halbinsel Lista wurde mit Hilfe von Strafgefangenen in großer Eile und ohne Rücksicht auf deren Gesundheit ein Flughafen auf dem steinigen Boden errichtet von dem aus Bomber nach England fliegen sollten.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Norwegen waren über Jahrhunderte gewachsen und sehr gut. Es gab einen engen wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch. Nachdem Norwegen 400 Jahre abhängig von Dänemark oder Schweden war, bekam es erst 1905 die Selbständigkeit und erklärte sich unter König Hakon VII. im ersten Weltkrieg für neutral.

 

Auch nach Beginn des 2.Weltkrieges erklärte sich Norwegen für streng neutral und stellte lediglich eine kleine Schutztruppe auf. Mit einem deutschen Angriff wurde nicht gerechnet. So erklärt sich auch der heftige Widerstand der jungen Nation, in der es lediglich 50 000 Parteigänger des Vidkun Quisling gab, der eine nationalsozialistische Gesellschaft wollte. Der Krieg um Narvik tobte wochenlang, nachdem die Aliierten eingriffen und erst durch die Errichtung der Westfront abziehen mussten.

 

Von diesen Ereignissen wurde auch Helmut Gockel betroffen, der 1939 eingezogen wurde und nach einer Grundausbildung zur Abwehr kam. Er wurde zum Heeresstab nach Lillehammer, ungefähr 200 km nördlich von Oslo, abkommandiert. Das Hauptquartier befand sich im Hotel ”Viktoria”, das heute noch existiert und damals beschlagnahmt war. Dort hatte Gockel ein eigenes Dienstzimmer für seine Aufgaben. Sie bestanden darin, die Bewegungen der schwedischen Truppen an der Grenze zu beobachten, Truppenart und Truppenstärke zu erkunden und die Stellungen genau zu skizzieren.  Jeden Morgen hatte er bei der Lagebesprechung seine Beobachtungen mitzuteilen und seine Skizzen zu erklären. Er hatte viel Bewegungsfreiheit und brauchte keine Uniform zu tragen.

 

Seine künstlerischen Fähigkeiten blieben seinen Kameraden und seinen Vorgesetzten nicht verborgen. So malte er für sie viele Landschaften oder nach Fotos die Portraits der fernen Familienangehörigen. Da Kunst bekanntlich Völker verbindet, fand Gockel auch Anerkennung bei den Norwegern in Lillehammer. Durch seine Freiheiten konnte er die umliegenden Täler besuchen – Gudbrandsdalen und Romsdalen – er gelangte sogar zu den Gletschern von Jotunheimen und zum Sognefjord. Er war überwältigt von der gewaltigen Natur und fühlte sich den Menschen, die in ihr lebten, immer enger verbunden. Über das westfälische Plattdeutsch lernte er schnell norwegisch. Er freundete sich mit Norwegern an, entsprach doch vieles in seiner Mentalität dem norwegischen Charakter. Dies belegt auch ein späteres Selbstportrait, auf dem er sich als vollbärtigen Norweger darstellt. In Lillehammer lernte er auch seine spätere Frau – Tora Hansen – kennen, die Schneiderin war.

 

Die Identifizierung mit Norwegen erfolgte vermutlich auch im Hinblick auf einen Einsatz für ein vom Nationalsozialismus befreites Norwegen. Nachdem ein äußerer Widerstand durch 450 000 Besatzungssoldaten unmöglich war, zogen sich viele Norweger in den inneren Widerstand zurück. 50 000 Norweger gingen heimlich über die Grenze nach Schweden, um von dort aktiv für ein freies Norwegen zu arbeiten.

Es gibt Hinweise von Verwandten, dass Gockel diesen Widerstand unterstützte. Die Ereignisse nach Kriegsende belegen dies, denn seine Internierung war sehr kurz und er durfte auf freiem Fuß im Lande bleiben und noch 1945 Tora Hansen in Oslo heiraten. Normalerweise durften alle deutschen Besatzungssoldaten das Land zehn Jahre nicht mehr betreten. In Oslo waren beide am Nationaltheater beschäftigt, er als Bühnenbildner, sie als Kostümschneiderin.

In dieser Stadt traf er auf die Bilder von Eduard Munch, die auf Gockel einen großen Eindruck machten.

In Oslo konnte Gockel auch eine Ausstellung organisieren, in der er alle Werke mit Le Ckog signierte (gocK -eL), denn Deutsche wurden so kurz nach Kriegsende nicht akzeptiert. Vermutlich zwangen wirtschaftliche Gründe das „Künstlerpaar“ ins zerstörte Münster, wo die wirtschaftliche Situation auch nicht besser war.

Erst nach 1953 bekam Gockel durch den Caritasdirektor Dr.Tenspolde regelmäßig sichere Aufträge zur Gestaltung von Kunstwerken für kirchliche Einrichtungen in verschiedenen Techniken.

Von den Mönchen im Kloster Gerleve, wo er mit dem Telgter Künstler Bauer ein Mosaik gestaltete, erwarb er einen gebrauchten VW-Käfer. Mit ihm und seiner Frau fuhr er ab 1956 regelmässig nach Lillehammer, besuchte Verwandte und Freunde, brachte ihnen Geschenke mit und malte für sie Bilder. Bald wurden Ausstellungen für ihn im „Kulturkontoret“ organisiert und viele Geschäftsleute und interessierte Kunstfreunde erwarben seine Bilder.

1962 pachtete er vom Bauern Finsveen ein Naturgrundstück in der Nähe von Lillehammer und baute mit Hilfe seiner Verwandten eine stabile Blockhütte am Waldrand. Sie hatte einen Windfang und bestand aus einem großen Wohn-Schlafraum mit Kochnische. Hier verbrachte der Künstler seine „beste Zeit“, wie er manchmal erzählte. Die relativ unberührte, großartige Naturkulisse und die Stille beflügelten sein künstlerisches Schaffen.

 

Sein in Münster lebender Neffe Ott Fahrun berichtet sinngemäß: In der Mittsommerzeit konnte er stundenlang vor seiner Hütte sitzen und das Licht der tiefstehenden Sonne beobachten wie es die ganze Landschaft in einen blau-violett-roten Schein tauchte. Er schaute auf die Umrisse der Felsen und Bäume, die sich wie Scherenschnittte vom hellen Abendhimmel abhoben ... Besonders im Herbst erstaunte ihn das Leuchten des Waldes in Ocker- und Rottönen ... ihn faszinierte das Licht des Nordens und die Aufgabe, es im Bild darzustellen...

In allen späten Gockelbildern finden sich diese extrem leuchtenden, warmen Farbtöne wieder, aber auch der starke Dunkelkontrast. Die expressive Pinselführung verrät die starken Emotionen, die der Natureindruck im Künstler erzeugt hat. Später malte er viele wunderbare Norwegenbilder aus der Erinnerung. Einige Bilder mit ähnlichen Motiven wurden als Varianten immer neu gestaltet. Ihm ist es gelungen, das „Licht des Nordens“ einzufangen, so dass viele seiner Bilder unsere Wohnungen im Münsterland hell machen.

1983 starb seine Frau Tora überraschend. Sie hatten keine gemeinsamen Kinder. Mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Erna Wieden besuchte er noch zweimal Norwegen.

1986 verkaufte er seine Hütte an den Bauern Finsveen . Er kehrte nie wieder nach Norwegen zurück, aber in seinen Gesprächen und Erinnerungen kam das Land mit seinem Zauber immer vor.

Arnold Stelzig 01. 12. 2004